Digitale Schließfächer bei der Zustellung auf der letzten Meile

16 Jan 2023

Susana Val, Leiterin des Zaragoza Logistics Center

VON SUSANA VAL
Leiterin des Zaragoza Logistics Center

Das letzte Teilstück der Lieferkette - die „letzte Meile“ - bezeichnet im Transportwesen und in der Logistik die Zustellung der Ware an den vom Kunden angegebenen Bestimmungsort. Als kostenintensiver Faktor mit direkten Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit spielt sie eine entscheidende Rolle in der E-Commerce-Logistik.

Die letzte Meile stellt für alle Unternehmen eine große Herausforderung dar, da die Waren auf dem Weg zum Lieferort auf zahlreiche Hindernisse stoßen können. Einige Hindernisse stehen im Zusammenhang mit dem Transport, andere mit der Art des zu liefernden Produkts. Der Aufschwung des E-Commerce - ein neuer Trend - hat die effiziente Abwicklung der letzten Meile inzwischen noch komplexer gemacht.

Herausforderungen der letzten Meile

Die Zustellung der Ware im urbanen Raum ─oder die letzte Meile─ ist der kritischste Teil der Lieferkette, da hier mehrere Herausforderungen bewältigt werden müssen:

  • Nachhaltigkeit - unter Berücksichtigung der Green-Deal-Vereinbarungen der Europäischen Kommission. Beispiel Spanien: Dort sind ab dem 1. Januar 2023 Nullemissionszonen in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern verbindlich vorgeschrieben.
  • Mobilität auf der letzten Meile: Für eine bessere Mobilität im Stadtverkehr entwickeln Städte inzwischen nachhaltige Verkehrspläne.
  • Vorschriften der Städte, die den Zugang für Lkw in Abhängigkeit des Gewichts beschränken. Die Vorschriften variieren je nach Art der Straße, des Fahrzeugs oder der Zeitzone.
  • Geänderte Konsumgewohnheiten durch die Zunahme des E-Commerce infolge der Coronavirus-Pandemie. Die B2C-Lieferungen (Business-to-Consumer) haben weiter zugenommen und die B2B-Lieferungen (Business-to-Business) sind stabil geblieben. Die Logistikanbieter reagierten darauf mit der Umgestaltung ihrer Prozesse - angefangen bei der letzten Meile - und setzten zudem auf neue Technologien, um die Bestandsverwaltung sowie das Flottenmanagement zu verbessern.

Was den letzten Punkt betrifft, so hat der E-Commerce-Boom den Anstieg der Zustellungen auf der letzten Meile weltweit noch beschleunigt. Spanien steht bspw. mit einem Umsatz von 69,4 Milliarden Dollar beim Online-Handel in Europa an dritter Stelle. Im Jahr 2021, während der Coronavirus-Pandemie, gaben 76 % der spanischen Internetnutzer an, regelmäßig Online-Einkäufe zu tätigen. Im selben Jahr wuchs der Online-Handel in Europa um 13 % auf 730 Milliarden US-Dollar. Der Anstieg der Online-Verkäufe hat zu einem unaufhaltsamen Wachstum der Lieferungen auf der letzten Meile geführt.

Angesichts dieser Herausforderungen setzen Unternehmen auf innovative Lösungen, wie neue Technologien oder logistische Infrastruktur, die Aufträge schneller, kostengünstiger und effizienter ausliefern. Die zukunftsorientiertesten Lösungen für die letzte Meile kombinieren Big-Data-Analysen mit Routing-Algorithmen, Sensoren, künstlicher Intelligenz und alternativen Kraftstoffen. Hier geht es sowohl um Elektrofahrzeuge (2- und 3-rädrige Fahrzeuge, Elektroroller usw.), umweltfreundliche Fahrzeuge als auch neue Lagerzentren oder kleine Lager in städtischen Gebieten, die die Konsolidierung von Aufträgen und die Verwaltung der letzten Meile vereinfachen.

Digitale oder intelligente Schließfächer - als Lagerräume für Endkunden - erweisen sich als Lösungen, die Technologie und Infrastruktur mit einbinden. Somit ist diese Art der Auftragslieferung im Interesse aller Beteiligten.

Was ist ein digitales Schließfach?

Intelligente Schließfächer sind Fächer, in denen man Pakete ohne Aufwand und Voranmeldung abholen oder zurückgeben kann. Diese Lösung reduziert die zurückzulegenden Kilometer der LKW und verringert dadurch die Umweltbelastungen der letzten Meile in den Städten. Intelligente Schließfächer sind auch für Sammelladungen nützlich, die zudem die Lagerfläche im Lkw optimieren.

Intelligente Schließfächer sind Fächer zur Abholung oder Rückgabe von Paketen

Digitale Schließfächer vereinfachen den Zustellungsprozess auf der letzten Meile für 3PL-Dienstleister, indem sie die Anzahl der Fahrten reduzieren, falls ein Kunde nicht zu Hause ist. Die Auslieferung an intelligente Schließfächer spart den Logistikunternehmen Geld und bringt auch den Kunden Vorteile: Sie haben genügend Zeit, um die Waren abzuholen, zudem befinden sich die Schließfächer oft in der Nähe ihres Wohnorts.

Die Schließfächer sind in der Regel rund um die Uhr in Betrieb, so dass sie bei der Abholung und Zustellung der Ware uneingeschränkte Flexibilität bieten. Inzwischen werden intelligente Schließfächer auch für andere Zwecke verwendet, z. B. zur vorübergehenden Lagerung von Waren oder zum vereinfachten Warenaustausch zwischen Personen. Mit digitalen Schließfächern können die Kosten für die Hauszustellung gesenkt werden, da sie sich oft an zentralen Orten - bei Geschäften, Büros - oder in der Nähe von Wohngebieten befinden. Digitale Schließfächer haben den Vorteil, dass sie so angepasst werden können, dass alle Informationen über die Cloud verwaltet werden, was die Annahme von Paketen erleichtert (Kum Fai Y. et al, 2019).

Werden digitale Schließfächer an zentral gelegenen Orten wie Geschäften, Büros oder in der Nähe von Wohngebieten aufgestellt, können sie die Kosten für Hauszustellungen senken

Pilottests mit digitalen Schließfächern bei der Zustellung auf der letzten Meile

Digitale Schließfächer werden bereits seit Jahren in der Privatwirtschaft verwendet. Nun wurden sie auch von staatlicher Seite aus als Lösung zur Optimierung der Mobilität und des städtischen Verkehrs in Betracht gezogen. Im Rahmen des Programms Horizont 2020 hat die Europäische Union die Einführung von intelligenten Schließfächern durch Pilotprojekte in mehreren europäischen Ländern gefördert. In Spanien und Italien wurden beispielsweise zwei Pilotprojekte umgesetzt, die die urbane Mobilität verbessern könnten:

  • Pilotprojekt 1. Einführung von digitalen Schließfächern in U-Bahnhöfen, damit sich die Zustellung auf der letzten Meile für Fahrgäste im Nahverkehr rentiert
  • Pilotprojekt 2. In ländlichen Gebieten werden intelligente Schließfächer als Dienstleistungen insbesondere für ältere Menschen und Menschen ausländischer Herkunft angeboten, um soziale Integration zu fördern.

➤ Pilotprojekt 1: Einrichtung intelligenter Schließfächer in U-Bahn-Stationen

Dieses in Valencia (Spanien) erprobte Pilotprojekt wurde im Rahmen des europäischen SPROUT-Projekts entwickelt. In den U-Bahnhöfen wurden digitale Schließfächer aufgestellt, damit die Fahrgäste ihre Bestellungen unterwegs abholen können, anstatt sie an ihre Heimatadresse schicken zu lassen. Intelligente Schließfächer in U-Bahnhöfen verringern die Anzahl der Fahrten der Zusteller, die dadurch eine große Anzahl von Paketen an nur einer Stelle abliefern können.

In Valencia war der digitale Schließfachdienst bereits an Tankstellen, Supermärkten und in Wohnanlagen verfügbar, nicht aber an öffentlichen Orten wie U-Bahn-Stationen. Bei der Wahl des geeigneten Stellplatzes für die digitalen Schließfächer wurden mehrere Faktoren in Betracht gezogen: Präferenzen potentieller Nutzer, Stromversorgung, W-Lan-Verbindung sowie das Sichtfeld der Sicherheitskameras in der U-Bahn-Station.

Die Studie zeigte, dass die digitalen Schließfächer Verkehrsstaus und damit Treibhausgasemissionen verringerten und so zu einer verbesserten Mobilität in Valencia beitrugen. Konkret bedeutet dies, dass die U-Bahn-Station regelmäßig als Sammelstelle für Pakete genutzt wurde, wodurch sich die Zahl der Transportfahrzeuge auf der letzten Meile in der Stadt verringerte.

Der in der U-Bahn eingerichtete digitale Schließfachdienst funktionierte folgendermaßen:

  1. Jeder Nutzer (ggfs. U-Bahnfahrer) konnte sich über die Website des Unternehmens, das den Dienst zur Verfügung stellte, für die Abholung seiner Pakete an den Schließfächern registrieren
  2. Bei der Registrierung konnte das für die Abholung der Bestellungen gewünschte Schließfach ausgewählt werden.
  3. Bei Online-Einkäufen in an dem Projekt teilnehmenden Geschäften konnte der Nutzer angeben, dass er die Bestellung im digitalen Schließfach abholen möchte.
  4. Sobald das Paket im digitalen Schließfach abholbereit war, erhielt der Nutzer einen Barcode per SMS, E-Mail oder über eine App, mit dem er das Schließfach öffnen konnte.
  5. Mit dem Barcode konnte der Nutzer das Schließfach öffnen und das Paket entnehmen.

Im Rahmen des Pilotversuchs wurden wertvolle Daten gesammelt, wie z. B. die durchschnittliche Kilometeranzahl, die ein Paket bis zu seiner Zustellung zurücklegte. Die Lieferung an eine einzige Abholstelle an der U-Bahn-Station anstatt an die Wohnung des Kunden sparte erhebliche Kilometer ein.

Auf der Grundlage der extrahierten Daten wurde der durchschnittliche Emissionsfaktor der Paketzustellfahrzeuge auf der letzten Meile bei einer durchschnittliche Strecke von 2,5 km pro Paket auf 0,254 kg CO2/km geschätzt. Der Einsatz der beiden digitalen Schließfächer in den U-Bahn-Stationen reduzierte die Treibhausgasemissionen um 48,26 kg CO2 bzw. 117,47 kg CO2. Bei einer Bearbeitung von 6.200 Paketen/Jahr betrug die Einsparung an Treibhausgasemissionen pro digitalem Schließfach in einem Jahr etwa 3.937 kg CO2.

➤ Pilotprojekt 2: Digitale Schließfächer zur Förderung sozialer Integration in ländlichen Gebieten

Der zweite Pilotversuch mit intelligenten Schließfächern wurde im Rahmen des europäischen Projektes INDIMO durchgeführt, dessen Ziel es ist, allen Mitgliedern der Gesellschaft Zugang zu digitalen Mobilitätsdiensten zu verschaffen. Bei diesem Pilotprojekt wurden in einem ländlichen Gebiet von Bologna (Italien) digitale Schließfächer installiert, um den Zugang zu digitalen Dienstleistungen insbesondere für ältere Menschen und Menschen mit ausländischer Herkunft zu verbessern. Da die ländlichen Gebiete hier weit von den städtischen Zentren entfernt liegen, haben die Bewohner keinen Zugang zu den Dienstleistungen, die Stadtbewohner in Anspruch nehmen können. Der verstärkte Einsatz von digitalen Schließfächern kann das Angebot von Dienstleistungen in ländlichen Gebieten erheblich verbessern.

Das intelligente Schließfach für dieses Pilotprojekt wurde für den Versand und die Zustellung von Briefen und Paketen sowie für die Bezahlung von Rechnungen und das Aufladen von Prepaid-Telefonkarten eingesetzt.

Die Überalterung der Bevölkerung ist in Bologna Realität geworden: Im Jahr 2018 waren 24,4 % der Einwohner (247.800 Personen) 65 Jahre und älter. Im gleichen Zeitraum hatte sich der Anteil der ausländischen Bevölkerung deutlich erhöht. Für das Projekt wurde Monghidoro ausgewählt, eine ländliche Gemeinde 40 km vom Zentrum Bolognas entfernt, mit einer Gesamtbevölkerung von 3.702 Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 76,4 Einwohnern/km².

Anhand verschiedener Indikatoren wurde in dieser Gemeinde die soziale Integration gemessen. Die Ergebnisse zeigten, dass 16 % der Bevölkerung keine öffentlichen Verkehrsmittel oder andere Dienstleistungen in einem Umkreis von 30 Minuten zu Fuß erreichen konnten, 28,5 % hatten noch nie einen Computer benutzt und 67 % waren von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.

Ziel des Pilotprojektes war es, einer Bevölkerungsgruppe, die in der Regel aufgrund ihrer Wohnlage von digitalen Erneuerungen ausgeschlossen bleibt, den Zugang zum Onlinehandel sowie zur Digitalisierung zu ermöglichen. Wie sollte dieses Ziel erreicht werden? Mit einem digitalen Schließfachmodell, das bereits im städtischen Umfeld eingesetzt wird. Mit anderen Worten: Dieses Pilotprojekt sollte Bürger erreichen, die aus verschiedenen Gründen nicht die gleichen Dienstleistungen in Anspruch nehmen konnten wie Stadtbewohner. Zur Zielgruppe der Studie gehörten ältere Menschen, Menschen mit ausländischer Herkunft, niedrigem Bildungsniveau, schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen und geringer digitaler Kompetenz.

Das intelligente Schließfach, das in diesem ländlichen Gebiet installiert wurde, bot den Nutzern mehrere Dienstleistungen: Versand und Abholung von Paketen, Bezahlung von per Post zugestellten Rechnungen und Aufladen von Prepaid-Telefonkarten. Die Nutzer konnten über eine auf ihren mobilen Geräten (Smartphone oder Tablet) installierte App auf das digitale Schließfach zugreifen. Zudem ist hervorzuheben, dass ein solches Pilotprojekt noch nicht in ländlichen Gebieten durchgeführt wurde. Bisher hatte man die Schließfächer nur in privaten Gebäuden in städtischen Gebieten eingesetzt.

Die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des digitalen Schließfachs waren der Studie zufolge die mangelnde Vertrautheit mit den neuen Technologien, der niedrige Digitalisierungsgrad der Bevölkerung sowie das geringe Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in dem Gebiet. Mit der Einrichtung dieses intelligenten Schließfachs sollte der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und zum Onlinehandel sowie deren Umfang erhöht werden.

So funktionieren digitale Schließfächer

Auf dem Startbildschirm der App für die Nutzung des digitalen Schließfachs stehen die grundlegenden Funktionen: Abholung und Versand von Paketen (E-Commerce und private Nutzung), Abholung von signiertem Schriftverkehr, Zahlungsabwicklung und Verwaltung von Schließfächern für persönliche Gegenstände.

Digitale Schließfächer verringern die Fahrten von Unternehmen, die Bestellungen ausliefern

Im Folgenden werden die wichtigsten Nutzungsvorgänge zusammengefasst:

  1. Bei der Abholung von Paketen erhielten die Empfänger über die App des Kurierdienstes Informationen zur Ankunft ihres Pakets sowie den für die Abholung notwendigen QR-Code. Am Schließfach scannten sie den QR-Code, um ihr Schließfach zu öffnen.
  2. Bei Paketsendungen konnten die Nutzer über einen QR-Code auf diese Funktion zugreifen. Nach Angabe der Lieferanschrift legten die Nutzer das Paket in das Schließfach und erhielten anschließend eine Versandbestätigung per E-Mail.
  3. Bei der Entgegennahme von Einschreiben wurden die Empfänger über eine Benachrichtigung in der App des Kurierdienstes aufgefordert, das Schreiben durch eine digitale Unterschrift anzunehmen, bevor der QR-Code zur Abholung der Dokumente angezeigt wurde. Die digitale Signatur hat die gleiche Rechtsverbindlichkeit wie eine handschriftliche Unterschrift und garantiert somit die Authentizität, Integrität und Rechtsgültigkeit des Dokuments. Für den Erhalt von Einschreiben mussten die Nutzer ihre digitale Identität nachweisen.
  4. Um eine Zahlung vorzunehmen, meldeten sich die Nutzer auf dem Bedienfeld des digitalen Schließfachs an und riefen die Funktion über einen QR-Code auf. Sobald sie sich in das System eingeloggt hatten, wählten sie mittels der entsprechenden App die durchzuführende Finanztransaktion aus. Die Bezahlung konnte per Karte oder in bar erfolgen. Zum Abschluss erhielten die Nutzer eine Zahlungsbestätigung per E-Mail.

 


 

Dr. Susana Val ist Leiterin des Zaragoza Logistics Center (ZLC). Außerdem ist sie außerordentliche Forschungsprofessorin am MIT-ZLC, Forschungsmitglied am Zentrum für Transport und Logistik des MIT und wissenschaftliche Projektleiterin der Forschungsgruppe Verkehrswesen.