Die Zukunft der urbanen Logistik: autonom, elektrisch, vernetzt und gemeinsam genutzt

28 Jun 2022

Beatriz Royo und Teresa de la Cruz vom Zaragoza Logistics Center

Von:

» BEATRIZ ROYO, Assoziierte Professorin des Programms MIT Zaragoza
» TERESA DE LA CRUZ, Projektleiterin des Zaragoza Logistics Center

Die städtische Logistik ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Wirtschaft und der Unternehmen, da sie den effizienten Transport von Waren zwischen Lieferanten und Verbrauchern innerhalb der Städte gewährleistet.

Die Art und Weise, wie logistische Prozesse in Städten ablaufen, hat sich im letzten Jahrzehnt aufgrund verschiedener Faktoren verändert. Zunächst fällt der schnelle Anstieg der Nachfrage nach städtischen Lieferdiensten auf, der auf die Entwicklung des E-Commerce zurückzuführen ist - der Umsatz im B2C-E-Commerce wuchs im Jahr 2021 um 16 %. Ein beträchtlicher Teil des städtischen Verkehrs ist jedoch auch auf die Lieferung kommerzieller Waren außerhalb des E-Commerce an Unternehmen des Gastgewerbes und an herkömmliche Geschäfte zurückzuführen.

Das Verhalten der Verbraucher und neue Konsumgewohnheiten verändern ebenfalls die Logistik in den Städten. Einige Experten sind sich sogar einig, dass COVID-19 die Verbreitung des E-Commerce als Einkaufsmethode beschleunigt hat. Dieser Trend hat in den letzten zehn Jahren zugenommen. Die explosionsartige Zunahme des elektronischen Handels hat die städtische Mobilität verschlechtert (Probleme der Zugänglichkeit, Verkehrsstaus und allgemeine Ineffizienz).

Die durch die digitalen Technologien geförderten neuen Geschäftsmodelle verändern die städtischen Verkehrsdienste, und zwar sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr

Laut Eurobarometer-Umfragen wächst das Umweltbewusstsein der Europäer, und in den letzten Jahren legte die Europäische Kommission den Schwerpunkt auf städtische Fragen und Umweltpolitik. Außerdem haben die Beschränkungen für die Art der Fahrzeuge und die Zeit, in der sie in einigen städtischen Gebieten verkehren können, neue Herausforderungen und Möglichkeiten für Innovationen in der Transportlogistik geschaffen, wie u. a. Elektrofahrzeuge, Lastenfahrräder (Cargo Bikes) und städtische Konsolidierungszentren. Die durch die Verbreitung digitaler Technologien geförderten neuen Geschäftsmodelle verändern zudem die Landschaft der städtischen Verkehrsdienste, und zwar sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Es sind auch einige Lösungen aufgetaucht, wie z. B. intelligente Schließfächer, die die Lieferung von Bestellungen ohne physischen Kontakt ermöglichen. Dies ist eine weitere Möglichkeit, sich auf die neue Realität nach der Pandemie einzustellen.

Phasen der städtischen Logistik: vom außerhalb der Stadt bis zur letzten Meile
Phasen der städtischen Logistik: vom außerhalb der Stadt bis zur letzten Meile

Die Digitalisierung entwickelt sich weiter und fördert vier technisch-wirtschaftliche Trends in der Logistik: Automatisierung, Konnektivität, Elektrifizierung und gemeinsames Eigentum. Es wird erwartet, dass diese Technologien und ihre Kombination den Verkehrsmarkt in den kommenden Jahren grundlegend verändern werden. Diese Revolution ist jedoch auch mit Risiken verbunden, die sich aus den sozialen und ökologischen Auswirkungen der Technologie ergeben. Die Veränderungen müssen mit klaren politischen Vorgaben einhergehen, die die Digitalisierung auf die Förderung der Nachhaltigkeit im Stadtverkehr ausrichten.

Das Umweltbewusstsein, COVID-19, die zunehmende Digitalisierung und der Vormarsch des E-Commerce sind vier Triebkräfte, die die Innovation vorantreiben und die Unternehmen zu einer Anpassung ihrer Dienstleistungen zwingen.

Die Dark Stores, auch als dunkle Läden bezeichnet, sind ausschließlich auf den Onlineverkauf ausgerichtete Lager, ähnlich wie virtuelle Restaurants oder Geisterküchen, in denen Lebensmittel ausschließlich für die Abholung und Lieferung nach Hause zubereitet werden. Das sind für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Lager, in denen die Aufträge zusammengestellt und verpackt werden. Sie ermöglichen schnelle Einkäufe und kürzere Lieferzeiten und verbessern so das Kundenerlebnis. Auch bei diesem Konzept wird die soziale Distanzierung gefördert, da der Einkaufsprozess in einer Onlineumgebung stattfindet, und die Kunden somit nicht in ein Ladengeschäft gehen müssen. Das Liefer-Startup Glovo ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das die Strategie der Dark Stores umgesetzt hat, indem es neue Logistikzentren (Glovo Express) in Europa und Afrika eröffnet hat.

Auch Unternehmen wie Amazon Go oder Continente Labs treten in den Städten in Erscheinung. Diese Läden sind mit einem Kamerasystem mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, mit dem Kunden über eine App Artikel im Laden auswählen können und einen digitalen Kaufbeleg erhalten. Dennoch müssen in den kommenden Jahren noch technologische und kulturelle Herausforderungen bewältigt werden, insbesondere in den Bereichen, in denen solche Geschäfte entstehen sollen.

Weltweit arbeiten Städte mit der Logistikbranche zusammen, um die anstehenden Herausforderungen der letzten Meile zu bewältigen

Daher arbeiten Städte auf der ganzen Welt mit der Logistikbranche zusammen, um die Herausforderungen der letzten Meile anzugehen und innovative Mobilitätslösungen umzusetzen. Dieses Modell wird in London praktiziert, einem Vorreiter bei der Verbesserung der urbanen Logistik. Dort werden eine Vielzahl von Geschäftsformaten basierend auf der Kombination von Logistikanlagen in der Nähe der endgültigen Lieferpunkte mit Elektrofahrzeugen und traditionellen Fahrrädern eingesetzt. Das Lager und Vertriebszentrum von CEVA Logística ist eine Erfolgsgeschichte. Die Anlage, in der die Lieferungen für das Guy’s und das St. Thomas’ Hospital zentralisiert und verwaltet werden, hat die Zahl der täglichen Lieferungen an die Krankenhäuser von 160 auf nur eine reduziert und damit den Verpackungsmüll der Krankenhäuser, die Verschmutzung der Stadt und den Verkehr verringert. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Innovationen lassen sich an einem anschaulichem Beispiel verdeutlichen: Im Zentrum Londons wurden geschlossene Lebensmittelgeschäfte von der britischen Supermarktkette Sainsbury‘s in Dark Stores umgewandelt, in denen Lebensmittel und Haushaltswaren angeboten werden. Die Aufträge werden von dort aus mit fünf Elektrofahrrädern an die Kunden in einem Umkreis von etwa 3 km geliefert.

Ein weiteres bahnbrechendes Geschäftsmodell dank digitaler Technologien ist die geteilte Mobilität für Fahrgäste und Fracht. Carvelo2go in der Schweiz und Outspoken Delivery in Cambridge und Norwich sind einige Beispiele für die gemeinsame Nutzung von Lastenfahrrädern.

Die neuen Geschäftsmodelle verändern den Transport auf der letzten Meile
Die neuen Geschäftsmodelle verändern den Transport auf der letzten Meile

Im Rahmen der städtischen Logistik werden in Zukunft weiterhin innovative, intelligentere und autonomere Mobilitätslösungen entwickelt. Die physische und die virtuelle Welt werden zu einer einzigen Umgebung verschmelzen. Die Entwicklung von digitalen Zwillingen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Laut IBMs Definition „ist ein digitaler Zwilling eine virtuelle Repräsentanz eines Objekts oder Systems im Verlauf seines Lebenszyklus. Es werden Daten in Echtzeit aktualisiert und Simulationen, maschinelles Lernen und Schlussfolgerungen für die Entscheidungsfindung genutzt“. Ein digitaler Zwilling einer Stadt kann zur Verbesserung der Effizienz und Nachhaltigkeit in den Bereichen Logistik, Energieverbrauch, Kommunikation, Stadtplanung, Katastrophenvorsorge, Bauwesen und Verkehr eingesetzt werden. Für diese Art von digitalem Zwilling müssen digitale Technologien (IoT, 5G, kollaboratives Computing, Blockchain und Simulation) zusammenwirken, um eine riesige Menge an hypervernetzten Daten im gesamten städtischen Ökosystem zu erzeugen.

Auch in Zukunft werden neue innovative Lösungen für die urbane Logistik erforscht, um einen intelligenteren und autonomeren städtischen Verkehr zu ermöglichen

Die Welt wird immer digitaler und die Verbraucher erwarten schnellere und häufigere Lieferungen, während die Bestellmengen immer kleiner werden. Der Aufbau von Logistiksystemen, die große Mengen an Daten generieren, die von den digitalen Zwillingen erhoben werden können, sollte Vorrang haben. Dadurch können autonome Systeme implementiert werden, die Fahrzeuge, Lager und Logistikzentren in der Stadt zusammenführen. In diesem hochdigitalen Umfeld gilt es, neue Technologien voranzutreiben, den öffentlichen Raum der Städte umzugestalten, eine neue öffentliche Politik zu definieren, Kompetenzender Arbeitskräfte zu ermitteln und die bestehenden Konzepte der städtischen Lager zu überarbeiten.

DHL implementiert in diesem Sinne digitale Zwillinge in einigen seiner Lager. Die virtuelle Darstellung des Lagers wird während des täglichen Betriebs ständig mit IoT-Daten, die von angeschlossenen Plattformen gesammelt werden, sowie mit Betriebs- und Bestandsdaten aktualisiert (einschließlich Größe, Menge, Stellplatz und Transporteigenschaften der angeforderten Ladungen). Mit diesen Daten wird ein dynamisches 3D-Modell der gesamten Anlage erstellt, mit dem das Unternehmen die Raumnutzung optimieren und die Bewegung von Produkten, Personal und automatischen Handhabungsgeräten simulieren kann. Im europäischen Projekt PLANET wird ein digitaler Zwilling durch andere bahnbrechende Technologien ergänzt. Ein Beispiel ist die Nutzung der Bedarfsplanung, um einen intelligenten Dienstleistungsvertrag mit künstlicher Intelligenz zu erstellen, der bei der Buchung von Fahrzeugen und der Einstellung von Personal hilft.

In naher Zukunft werden die Logistiksysteme autonom, vernetzt, gemeinsam genutzt und elektrisch sein. Dieser Übergang hat in der Tat bereits begonnen und wurde durch die COVID-19-Pandemie und andere damit verbundene Ereignisse noch beschleunigt. Nun ist es an der Zeit, die Entwicklungen in der Branche im Auge zu behalten, um zu verstehen, wie man Risiken vermeiden und sich an Veränderungen anpassen kann. In einer Welt, in der die Grenze zwischen der digitalen und der physischen Sphäre immer mehr verschwimmt, werden Unternehmen, denen die Anpassung gelingt, am richtigen Platz sein.

 


 

Dr. Beatriz Royo ist assoziierte Professorin des Internationalen Logistikprogramms MIT-Zaragoza. Die wichtigsten Forschungsgebiete von Dr. Royo sind urbane Mobilität, Netzwerkdesign, Zusammenarbeit in Lieferketten, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Dr. Teresa de la Cruz ist Projektmanagerin im Forschungsbüro des Zaragoza Logistics Center, wo sie für das Projektmanagement und die Forschung urbaner Mobilität, Nachhaltigkeit der Lieferketten und Transportsysteme zuständig ist.

 


 

Quellenangaben

  1. Retail e-commerce sales worldwide from 2014 to 2025, Statista.
  2. Amit Mathradas, Council Post: Covid-19 Accelerated e-Commerce Adoption: What Does It Mean for the Future?, Forbes (Forbes Magazine, December 28, 2020).
  3. Michael Browne, Effective City Logistics – Challenges and Opportunities - IRU, (University of Westminster, November 7, 2013).
  4. European Commission, Eurobarometer.
  5. European Commission, Directorate-General for Environment, General Union Environment Action Programme to 2020: Living well, within the limits of our planet, Publications Office, 2014.
  6. M.W. Adler, S. Peer, and T. Sinozic, Autonomous, Connected, Electric Shared Vehicles (ACES) and Public Finance: An Explorative Analysis, Transportation Research Interdisciplinary Perspectives, Volume 2 (2019).
  7. Felix Creutzig, Martina Franzen, Rolf Moeckel, Dirk Heinrichs, Kai Nagel, Simon Nieland and Helga Weisz. Leveraging Digitalization for Sustainability in Urban Transport. Global Sustainability 2 (2019): e14. doi:10.1017/sus.2019.11
  8. The Potential for Urban Logistics Hubs in Central London, (Steer for Cross River Partnership, December 2020).
  9. Carvelo2go, accessed May 25, 2022.
  10. Outspoken Delivery, Cambridge & Norwich, CoMoUK, June 5, 2018.
  11. Tianhu Deng, Keren Zhang, and Zuo-Jun (Max) Shen, A Systematic Review of a Digital Twin City: A New Pattern of Urban Governance toward Smart Cities, Journal of Management Science and Engineering (Elsevier, March 24, 2021). 
  12. PLANET Project, July 30, 2020.